Zu den vier Linden - Eckkneipe, Szenekneipe, Gaststätte, Speiselokal in Braunschweig, östliches Ringgebiet

So ist das mit der Stammkneipe - von Elke Heidenreich

Also... was hat die Stammkneipe, was alle anderen Kneipen nicht haben? Bier gibt es doch überall. Der echte Stammkneipengeher kann da nur müde lächeln. “Bier“, wird er sagen, „kann ich mir auch kaufen und zu Hause ganz für mich allein trinken, als ob es das wäre, das Trinken!“ Dann sind es also die Gespräche? „Sprechen“, wird er sagen, worüber denn? Über das Wetter? Das Kino? Das vereinte Europa? Oder etwa über meine Probleme mit Almut? Das fehlt gerade noch. In die Stammkneipe gehe ich doch gerade deshalb, weil ich weiß, dass sie mich da in Ruhe lässt.“

Da ist was dran – die einzigen Worte, die ich oft in meiner Stammkneipe spreche, wechsle ich mit dem Wirt, und das klingt ungefähr so: “Hallo.“ / „ Hallo.“ / „ Na, wie isses ?“ / „Wie soll es schon sein.“ Und sonst ?“ / „Gut.“ / „Na, dann.“ Und natürlich hat er sofort begriffen, dass „es“ eben NICHT gut ist, und dass er es begriffen hat, beweist die Tatsache, dass er unauffällig die Kassette mit Madonna rausnimmt und die mit Tom Waits reinschiebt, so einfach ist das mit der Stammkneipe. Es ist der einzige Ort auf der Welt, wo man richtig verstanden wird. Man wird nie hereinkommen, und sie haben plötzlich renoviert. Der Abend ist doch schon im Eimer, wenn in einer Lampe über dem Tisch in der Ecke statt einer 40er Birne plötzlich eine 60er brennt.

Aber in einer Stammkneipe gibt es keine solchen gravierenden Veränderungen – mag sich die Welt auch immer schneller und verrückter drehen, mögen sie den Mars erobern und die Wälder in Brasilien klein hacken, hier herrscht tiefer gleichbleibender Frieden. Das einzig Irritierende sind wechselnde Gäste, das Kommen und Gehen von Fremden, die nicht zur festen Einrichtung gehören. Man betrachtet sie missgestimmt, was wollen die hier?, und brütet sich ihre Lebensgeschichten zusammen. Ein einziges Desaster von Ketten schrecklicher Irrtümer sieht man ihnen an, und der letzte und schrecklichste war, sich hierher verirrt zu haben. Aber von mir allein kann der Wirt ja schließlich nicht leben. (obwohl, Franz, ich geb mir doch Mühe, oder?)

Die Stammkneipen sind so verschieden, wie wir Menschen es sind. Es kann eine Stehbierkneipe sein oder eine feine Schummerbar, ein bürgerliches Knödellokal mit mütterlicher Kellnerin oder einer von diesen erlesenen Schläuchen mit Wirt in weißer Schürze und „Dialog von Früchten“ als Nachtisch, es kann ein lautes Brauhaus sein oder eine rustikale Wirtschaft mit Kerzen und frischen Blumen auf allen Tischen, es ist halt mit der Stammkneipe so wie mit dem eigenen Wohnzimmer: Man muss es täglich und in jeder Stimmung gut leiden können, sich da wohl fühlen, ja, ich versteige mich zu der Behauptung: Eine gute Stammkneipe IST das Wohnzimmer des ausgeglichenen Menschen. Um den Alkohol geht es dabei auch, ja doch, aber in erster Linie ums Nachhausekommen. Die paar Herzensfreunde, die man mit sich durchs Leben schleppt und die ihnen auch noch den allerblödesten Tagen leiden können, die stehen da natürlich auch immer. Darauf kann man sich verlassen. Man ist nicht jeden Tag da, aber es gibt unausgesprochene Rituale, nach denen wir dort immer wieder zuverlässig zusammentreffen. Hierhin werden wir nie jemanden mitnehmen, den wir nicht mögen. Hier haben wir uns selbst über Jahre mühsam hochgedient. Heimlich haben wir auch mal andere Kneipen ausprobiert – eine Katastrophe. Und wie schön der Moment der Rückkehr – du trittst ein, und alles ist wie immer: „Hallo.“ / „Hallo.“ / „Na?“ / „Alles klar.“ / „Na, denn.“

Elke Heidenreich