Die Sprache der „Linde“ - von Ernst-Johann Zauner
Wie in jeder Szene entwickelte sich in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten auch in der „Linde“ eine eigene Sprache, die nur für Stammgäste, ja zum Teil nur für den Wirt und sein Team verständlich ist. Dazu gehört die Namensgebung auf den Deckeln, denn wenn die Stammgäste auch seit Jahren bekannt sind, manche Nachnamen sind auch nach einem Jahrzehnt nicht geläufig. Auf den berühmten Deckeln, die hinter der Theke als „Linden“-Buchhaltung geführt werden, werden allerdings alle mit ihrem „Vier-Linden“-Pseudonym geführt.
Hier bringen wir eine Liste von Beispielen, in der sich viele wiederfinden werden, aber ihr Deckel-Pseudonym vielleicht auch zum ersten Mal lesen: Bene, Dr.Fritz, Stocki, Jazz-Klaus, Conni-Spezi, Konni-M., Spitze, Paves, Moni, Geerd (mit zwei e, darauf soll er Wert legen),Beans, Taxen-Werner...
Das ist nur eine kleine Auswahl von Deckel-Deck-Namen, die sofort auf eine der runden Pappen geschrieben werden, wenn der Gast die „Linde“ betritt. Ist der Eintreffende noch unbekannt und mit keinem ureigenen Merkmal zu beschreiben, wird er deckelmäßig seiner Platzierung im Lokal zu geordnet. Im Uhrzeigersinn beginnt es an der Tonne, gleich an der Säule zum Toilettengang. Dann geht es weiter mit der „Banane“, jenem halbrunden Stehtisch, den meist früh eintrudelnde Stammgäste sicher im Griff haben. Die Tische dann werden mit 1 bis 7 auf den Deckeln vermerkt, die Stehtische mit Steh-1 bis Steh-3. Lassen sich bis dato Unbekannte im Garten nieder, steht auf ihrem Deckel Links-1 bis Links-4 oder rechts-1 bis Rechts-4.
Stammgäste und Zapfer haben natürlich auch eine vereinfachte Form der Bestellung, um die Wartezeit zum nächsten Getränk nicht unnötig in die Länge zu ziehen. Dem Ruf „Andy ein Wopi“ oder „ ein Hasse“ folgte die prompte Lieferung eines 0,3er Glases Wolters oder Hasseröder. Groß-Wopi oder Groß-Hasse lässt die o,4-Liter-Version der Getränke anrollen. Die „Finkennäpfchen“ – oder „Bonsai“-Version dieser Getränke wird meist zu später Stunde erbeten, wenn man eigentlich schon lange gegangen sein sollte und um sein Gewissen zu beruhigen die jeweilige Biersorte nur noch in 0,2-Liter-Gläsern ausliefern lässt. Wobei meist vergessen wird, dass zwei 0,2er einem 0,4er entsprechen und so fort – aber das ist eine andere Geschichte. Deshalb werden „Finkennäpfchen“ und „Bonsai“ auch unter dem Oberbegriff „Öfterling“ geführt.
Das „wirklich letzte Getränk“ wird dann mit der Entschuldigung „One for the Road“ geordert, aber das kann sich bis zu „Ten for the Road“ hinziehen, wie nicht nur die „Linden“-Erfahrung lehrt.
Dabei gibt es natürlich auch Feinheiten. So bestellt der „Prof“ eine „Keule“, 0,4 im besonderen Glas, während Geerd auf einem „Becher“ besteht, der alten becherförmigen Bierglasform, die in der Zeit der Design-Biergläser eigentlich längst aussortiert worden sind – außer in Lokalen wie der „Linde“.
Bei Hochprozentigem gibt es nur zwei Worte, die man sich merken muss, ein „Schnapper“ ist ein Schnaps. Dieser Ruf zieht, wenn nicht anders spezifiziert, die Lieferung eines „Leutheusser-Schnarrenbergers“ nach sich, wie in der “ Linde“ der „Nordhäuser Korn“ genannt wird.
Die Entstehungsgesichte dieses Namens ist noch nachzuvollziehen. Eine Männerrunde an der „Banane“ unterhielt sich über Frauen um 40 und ihre häufig abwegig umständlichen Doppelnamen. Auf den Hinweis eines Diskussionsteilnehmers, wenn man da mal richtig lachen wolle, müsse man nur das Vorlesungsverzeichnis der Volkshochschule durchsehen, folgten Beispiele aus der Politik, die uns die Bekanntschaft mit Damen wie Schmalz-Jacobsen oder Leutheusser-Schnarrenberger verschafft habe. Bei solchen Diskussionen wird dann bald eine Runde „Schnapper“ fällig und was lag näher, als einen, als einen „Nordhäuser...“,nein, „Leutheusser-Schnarrenberger“ zu bestellen. Dieser Nordhäuser erlaubt uns eine geschichtliche Randbemerkung, denn die „Linde“ gehörte zweifelsfrei zu den ersten Kneipen im Westen, die nach der Grenzöffnung „Hasseröder-Pils“, „Halberstädter-Würstchen“ und „Nordhäuser-Korn“, Produkte aus den neuen Bundesländern, voll in ihr Angebot integrierte.
Aus dem Buch“ Zu den 4 Linden – Das Buch zur Kneipe“, erschienen 1996. Der Text wurde im Rahmen des Artikels „Redakteure schreiben Bücher“ am 30.August 2003 in der „Braunschweiger Zeitung“ vorgestellt.
Viel zu selten, da ist sich Ernst-Johann Zauner sicher, gelingt es ihm im Sommer vor seinem Lieblingslokal, den Vier Linden in Braunschweig, ein paar Minuten der Muße zu genießen. Ernst-Johann Zauner wurde am 24.Mai 1944 in Grünberg (Schlesien) geboren. Seit 1979 lebt und arbeitet er in Braunschweig als Journalist. Er ist verheiratet und hat eine Tochter. Über viele Jahre hinweg war er ein begeisterter Rallye-Fahrer. So fuhr er unter anderem zweimal, in den Jahren 1971 und 1972, die Rallye Monte Carlo.