Die Linde - Liebeserklärung an eine Kneipe - von Rudi Raab
Designer, Maler, Disponenten,
abgebrochene Studenten,
Weinverkäuferinnen, Bänker,
Taxifahrer, Bierausschenker,
Dentisten, Kneiper, Ingenieure,
Buchhändlerinnen, Spediteure,
Programmierer, Geologen,
Physiker und Pädagogen,
Kunsthändler, Makler, Mietberater,
Schauspielerinnen am Theater,
ein Rentner, zweieinhalb Proleten,
alle lassen die Moneten
hier bei Elvis in den Linden,
gießen Bier hinter die Binden.
Architekten stehn herum,
halten andere für dumm,
Juristen, Yuppies nippen Sekt,
sehen aus wie frisch geleckt.
Hingegen Wodka liebt uns’ Wolle,
Benedikt nimmt noch’ne Molle
während Gesche, leicht beschwingt,
auf Küstenhochdeutsch singt,
und Memphis von Vergang’nem träumt,
Pat das Nachhausegehn versäumt.
Besonders gern an der Banane
sitzt man vorabends. Nah am Hahne.
Warum ich dieses jetzt erwähne?
Dort seh’ich Bärbel stehn und Beene!
Auf dem Bord ein Globus, Bücher,
Sozialarbeiter haben Tücher
sorgsam um den Hals geschlungen.
Der dort reist mit Versicherungen!
Rainer spricht nur noch vom Segeln,
Lisa war mal wieder kegeln,
eine „Keule“ ordert Frank,
zur Sahne, die er mittags trank.
Claudius nimmt noch zwei Halbe
und macht gegen elf die Schwalbe.
Philosophen, Professoren,
auch die, die dünne Bretter bohren,
der Antiquar, der Galerist,
der Pastor und der Antichrist
Psychologen, Therapeuten,
die früher Menschen gänzlich scheuten,
Herren mit gelackten Schuhn,
haben Bess’res nicht zu tun,
stehen, reden, gucken schlau,
doch meist nach einer and’ren Frau.
Was geht ab in dem Gemäuer?
Dirk gibt fremden Leuten Feuer,
Andy lächelt, grüßt und zapft,
als Bohne in die Kneipe stapft.
Studierte Frauen lesen Spiegel,
diskutiern den Schutz der Igel,
sprechen über Laptop-Preise
und über ihre nächste Reise.
Die Billardkugeln rollen sacht
seit heute abends um halb acht,
der Raum ist eng, der Queue ist kurz,
von der Banane tönt ein Furz.
Stehst du im Gang zu den Toiletten,
musst du dich vor Pissern retten.
Dirk mahnt jetzt Getränke an,
Andy steht immer noch am Hahn
und seitwärts, mit ‚nem kleinen Ruck,
nimmt Spatze heimlich einen Schluck.
Schweiß tupft ein Dicker vom Gesicht,
Marion hat Übersicht./p>
Okertrassen haben Ruh,
Otto macht den Laden zu,
zum Ausklang schaut er hier vorbei,
trinkt Bier, na ja so etwa drei.
Lehrerinnen sind am Klagen
über Zöglinge und Blagen,
auch Minister und Rektoren
lassen sie nicht ungeschoren.
Birgit trinkt einen Pernod
und Regina ebenso.
Ärzte singen schmutz’ge Lieder
einer Dame klemmt das Mieder,
Sekretärinnen, die schönen,
lassen sich verbal verwöhnen,
stehen da und tuen fein,
zeigen manchmal auch viel Bein.
Ein Grüppchen streitet heftig drum:
Wie schaff’ ich Wohnungseigentum?
Über Einsatz des PC
referiert Geerdchen mit zwei E.
Bob Dylan klingt für viele gut,
die Lieder sind hier der Tribut
an der Gäste Durchschnittsalter.
Manch einer ist schon Hausverwalter,
glaubt, er hätte ewig Schwung,
dünkt sich, noch mit 50 jung,
balzt und schwänzelt um die Frauen,
turtelt, ach, es ist ein Grauen!
Ein Fahrradhändler kriegt ‚nen Kuss.
Die Kunststudentin, die mal muss,
zwängt sich durch die engen Reih’n,
ihr Spitzenröckchen ist zum Schrei’n.
Quer über’n Toilettenflur
hinweg zieht sich Rolf’s Dichterspur.
Wer reißt dorthinten solche Witze?
Achja, es ist der Doktor, Fritze!
Charles umwirbt ‚ne junge Frau,
ein Studienrat hält sich für schlau.
Elvis, schon mit etwas „Fühlung“,
schwärmt von seiner neuen Kühlung,
die das Bier zum Hahn begleitet
-Lindenburger wird bereitet-
er erzählt von den Konzepten,
die er, mit seinen Adepten
vorhat zu realisieren,
um den Gast zu animieren,
dass er häufig wiederkehrt
und dabei viel Bier verzehrt.
Auf voller Öffnung stehn die Hähne,
Maschinenbauer schmieden Pläne
von Zukunftsindustrien fix
und über’n vier acht sechs DX.
Der Local Bus hat Konjunktur,
das Telefon hat keine Schnur,
und auf der Datenautobahn
da woll’n die schnellen Jungens fah’n.
Wie ich so an der Theke sitze,
kommt Werner rein, ohja und Spitze,
und dieser fragt, wie immer kess:
„Na, Alter, einen Cientrotres?“
Der Weg zum Klo ist nun versperrt.
Mike kommt aus dem Klavierkonzert.
Zeitungsredakteure reden,
haben ihre kleinen Fehden,
Harald tänzelt vor, zurück,
schaut verklärt, liebt die Musik.
Ein Rechtsanwalt bestellt ein Ei.
Christiane geht heut’ schulterfrei,
diesmal muss sie wieder flitzen,
Elvis hat jetzt einen sitzen,
und es treibt ihn wieder um,
weg ist er: Ins Panopticum!
Johannes zeigt heut einen Tanz,
vom „Leben“ redet unser Hanns,
von „Kunst“ hingegen der Herr Meister,
der stattliche, ja Konny heißt er,
bestellt sich noch eine Zigarre,
ein kleiner Roma spielt Gitarre.
Wenn Heijo dann philosophiert,
etymologisch spekuliert,
wird’s zwei Uhr, drei, auch manchmal vier.
„Spatz, machste noch ‚ne Runde Bier?“
- Da fühlt man sich wie neugebor’n!
„Spatz, mach’ dazu auch noch drei Korn!“
zehn Bier am Stück, die Trinkmethodik
heißt in der Linde „Fuzzy-Logik“!
Oh, da kommt David, „Baby, prost!
Auf Queen-Mamma einen Toast.“
Eigentlich wollt’ ich jetzt gehen,
halt: da seh ich Skinny stehn!
Na –eben noch ein halbes Stündchen
bleib ich noch, denn meine Kindchen
schlafen fest, so wie mein Schatz.
„Machste noch mal zweie, Spatz!“
Jetzt reicht’s,ich will das Wunder sehn,
wie oftmals, beim Nachhausegehn.
Ja, Wunder gibt’s auch bei den Linden!
Wie anders soll ich dieses finden:
Wenn ich komme um halbzehn,
sehe ich vier Linden stehn,
geh’ ich dann, nach Mitternacht,
seh’ ich acht!!
Den Schluckauf wird mein Weib verzeih’n
und morgen schau ich wieder rein!